Ob sinnbildliche Verschränkung von Patriarchat und Kapitalismus, oder emanzipierte Frau, die alles kann – Barbie polarisiert auch in feministischen Kreisen. Der gleichnamige Film hat die Debatte wieder angestoßen, nicht zuletzt, weil die Regisseurin Greta Gerwig der Produktion einen feministischen – und nicht nur pinken – Anstrich verpasst hat.

Was neben all der kritischen Debatten aber nicht vergessen werden darf: Barbie betrifft vor allem Kinder. Welche Auswirkungen die Kult-Puppe und andere Spielzeuge auf unser Verständnis von Geschlechterrollen haben, erklärt Bildungspsychologin Marlene Kollmayer.

Wie feministisch ist Barbie wirklich?

Kollmayer: Barbie wird als eine moderne Frau dargestellt, aber eben mit all den Einschränkungen einer modernen Frau. Man darf zwar Pilotin oder Bundeskanzlerin werden, aber nur solange man weiterhin so aussieht wie ein Model. Sie ist immer perfekt geschminkt, hat eine schlanke Taille und kann nur hohe Schuhe anziehen. Damit ist sie nicht für alle eine Identifikationsfigur. Es gibt außerdem Studien, die zeigen, dass Barbie sich negativ auf das Körperbild von Mädchen auswirkt.

Wie hat Barbie auf den Feminismus reagiert?

Kollmayer: Mit dem Aufkommen von #metoo und Feminismus 3.0 hatte Mattel Umsatzeinbußen zu verzeichnen und begann deshalb, die „Curvy Barbie“ oder auch die „genderneutrale Doll“ an jene Eltern zu verkaufen, die sich Gedanken über Geschlechterrollen machen. Da darf man aber auch die kapitalistische Logik nicht vergessen.

Sind beispielsweise geschlechtsneutrale Puppen eine Alternative?

Kollmayer: Geschlechtsneutrales Spielzeug kann helfen, Stereotype abzubauen und auch ermöglichen, dass Kinder unterschiedlichen Geschlechts miteinander spielen, ohne dass es zu strikten Rollenzuschreibungen kommt. Gerade nicht-binäre Kinder können sehr davon profitieren, hier keine Ausschlüsse und Stereotypisierungen zu erfahren, sondern sich im freien Spiel zu entfalten.

Wie sehr prägt Spielzeug unsere Geschlechtsidentität? 

Kollmayer: Spielzeug ermöglicht es Kindern bestimmte Rollen und Verhaltensweisen auszuprobieren, die zum Teil bestehende Geschlechterrollen widerspiegeln. Das hat einen großen Einfluss darauf, was man sich später im Leben zutraut, womit man sich wohlfühlt und womit nicht. Gleichzeitig müssen gewisse Tätigkeiten in jeder Gesellschaft erfüllt werden (z.B. Childcare). Das heißt, es ist nichts Verwerfliches daran, dies auch als Kind zu üben – idealerweise eben nicht nur als Mädchen, sondern auch als Bub.

Wie unterscheiden sich Spielzeuge, die z.B. auf Mädchen oder Buben zugeschnitten sind?

Kollmayer: Die Handlungsspielräume, die diese Spielzeuge vorgeben, korrespondieren stark mit traditionellen Geschlechterstereotypen. Bei Mädchen: Sorgen, Kümmern, Kinderpflege, Haushaltsführung und Beauty. Bei Buben: Wettbewerb, Kampf, Konstruktion und expansives Verhalten.

Welche Auswirkungen hat das auf die Kinder?

Kollmayer: Diejenigen, die mit Mädchenspielzeug spielen, sind später besser bei verbalen Fähigkeiten. Man redet mit der Puppe, man redet als die Puppe, man kommuniziert die ganze Zeit. Bauen fördert hingegen wichtige Vorläuferfähigkeiten für mathematische Fähigkeiten. Da beginnt, dass Buben besser in Mathe sind und Mädchen besser in Deutsch.

Was können Eltern tun, um da entgegenzuwirken?

Kollmayer: Ich glaube es ist wichtig, eine Bandbreite an Spielzeugen zur Verfügung zu stellen. Eltern könnten also überlegen, einem Mädchen nicht nur Puppen zu schenken, sondern vielleicht auch ein paar Matchbox-Autos oder Bauklötze. Man sollte auch die eigene Biografie im Hinblick aufs Spielen reflektieren.

Kann Spielzeug auch einen positiven Beitrag zum Verständnis von Geschlechterrollen liefern?

Kollmayer: Die Frage wäre, wenn Spiel bis zu einem gewissen Grad existierende Strukturen spiegelt, inwiefern durch Spiel aus existierenden Strukturen ausgebrochen werden kann. Allerdings wäre es gut, wenn auch Buben mit Puppen spielen. Was man mit „Mädchenspielzeugen“ übt, fehlt Männern später oft. Sie können oft z.B. ihre Bedürfnisse nicht äußern, sind öfter depressiv, gehen seltener zum Arzt und wissen nichts mit ihren Kindern anzufangen. Da wird es jetzt in Zukunft immer wichtiger: Nicht nur als Frauen zu sagen, wir können jetzt beides. Sondern auch von Männern beides einzufordern und ihnen auch die Möglichkeiten zu geben, das zu üben.

Marlene Kollmayer ist Universitätsassistentin am Institut für Psychologie der Entwicklung und Bildung an der Universität Wien. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit subtilen Mechanismen der Aufrechterhaltung von Geschlechterstereotypen in Bildungskontexten.

Die Buch-Tipps zum Thema Barbie und Feminismus

Almut Schnerring, Sascha Verlan, “Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees”, (Kunstmann 2021): Wie mit den Geschlechterklischees in Kinderspielzeug, Kleidung, usw. umgehen? “Die Rosa-Hellblau-Falle” gibt nicht nur praktische Tipps, sondern versammelt vielfältige Stimmen, von Eltern über Pädagog*innen und Wissenschaftler*innen, um Fragen rund um Geschlechterklischees in der Kindheit zu klären.

Beate Hausbichler, “Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politischen Bewegung ein profitables Label wurde” (Residenz Verlag 2021): Wie hängen Patriarchat und Kapitalismus zusammen? Welche Gefahren birgt die Individualisierung für den Kampf um Gleichberechtigung? Im Podcast sprechen wir mit Beate Hausbichler außerdem über das Buch “Geradegerückt“, in dem Frauen aus der Öffentlichkeit neu betrachtet werden.

Elisabeth Lechner, “Riot Don’t Diet. Aufstand der widerspenstigen Körper” (2021, Kremayr & Scheriau): In unserer patriarchalen, kapitalistischen und rassistischen Gesellschaft werden Eigenschaften wie Schlankheit, weiße Haut und Fitness oft mit Erfolg gleichgesetzt. Doch was, wenn wir dieser Norm nicht entsprechen? Wir sprechen mit Elisabeth Lechner, Autorin von “Riot Don’t Diet” im Podcastinterview.